Presse

Sächsische Zeitung, 08. Januar 2002

Kunststreit: Der Mann verdiente, bekannter zu sein

Der Grafiker und Schriftsteller Johannes Wüsten wird in Görlitz durchaus geschätzt - es ist bloß nicht zu merken

Von Karin Großmann

Leicht hat es Wüsten nicht. Das stellte schon der Feuilletonist Kurt Tucholsky fest. Er schrieb ein kleines Loblied auf den Kupferststecher aus Görlitz 1932 in der ,,Weltbühne". Die Grafiken seien großartig, famos und ,,böse, herrlich böse - böse aus enttäuschter Güte". Tucholsky verglich sie mit Blättern von George Grosz und Alfred Kubin. Schärferes gab es zu dieser Zeit kaum. ,,Der Mann verdiente bekannter zu sein, als er es ist - in dem steckt etwas", rühmte Tucholsky. ,,Laßt euch das Heftchen einmal kommen. Es wird euch viel Freude machen."

Die Görlitzer sahen das anders. Aus einer Ausstellung wurden 1932 drei Stiche von Wüsten entfernt. Sein historisches Festspiel, das er im Auftrag des Verkehrsvereins geschrieben hatte, wurde abgelehnt. Wartburgbilder und Gesänge auf Königin Luise, mutmaßte Wüsten, wären genehmer gewesen. Er sei wohl für die Stadt nichts als ,,ein kleiner Stein des Anstoßes". Und dabei hatte er doch "Rücksicht auf Andersdenkende" genommen, wie er im Tagebuch schrieb. Dennoch sei seine Kunst wohl "politisch zu tendenziös". So deutlich sagt ihm das aber keiner. Wüsten hielt sich mit Sportreportagen für den "Görlitzer Anzeiger" irgendwie am Leben. Fünf Pfennig pro Zeile, klagte er, zahle der Redakteur.

Leihgeber zieht Dokumente zurück

Heute wird Johannes Wüsten zwar bedeutendster Künstler der Stadt im zwanzigsten Jahrhundert genannt - es ist bloß nichts davon zu merken. Ein Straßenname, eine kleine Plastik von Theo Balden, mehr ist nicht. Kein Werk von ihm wird öffentlich präsentiert. Die Oberschule, die Wüsten kurz und erfolglos besuchte und die früher seinen Namen trug, heißt jetzt Gymnasium "Augustum". Die Personalausstellung im barocken Museum Neißstraße 30 wurde im vorigen Jahr sang- und klanglos geschlossen. Thomas Wüsten, Neffe des Künstlers, zog nun die Leihgaben der Familie zurück, Kataloge, Briefe, Fotoalbum, ein Konvolut von Dokumenten. Dazu gehört auch jene Postkarte von Kurt Tucholsky, auf der er Wüsten die Rezension in der "Weltbühne" angekündigt hatte.

Leicht hat es Johannes Wüsten wirklich nicht. Der Künstler, der in der Weimarer Republik internationale Anerkennung als Kupferstecher erfahren hatte und später als Schriftsteller ein Kapitel deutscher Exilliteratur mitschrieb, dieser vielfach Begabte, Widerspruchsvolle, er findet keine Heimat. Matthäus 13,57. Ein Prophet gilt nirgend weniger denn in seinem Vaterland und in seinem Hause. Ist es Geldmangel? Ignoranz? Unsicherheit im Umgang mit dem Vergangenen? Von jedem etwas, so sieht es wohl aus. Der Ursprung des Konfliktes liegt in den dreißiger Jahren. Johannes Wüsten engagierte sich gegen nazistische Unmenschlichkeit. Und er wurde Mitglied der KPD. Das machte ihn damals unbeliebt. Das macht ihn heute nicht eben beliebter. Aber beliebt machte ihn das in der DDR.

Wüsten wurde als Widerstandskämpfer gefeiert. Kaum eine Jugendweihegruppe kam um die Ausstellung herum, die 1976 im Görlitzer Museum Neißstraße eröffnet wurde. Sie sah Johannes Wüsten vor allem als "Kommunisten und engagierten Kämpfer gegen die faschistische Diktatur", wie es in Presseberichten hieß. Seine Kunst kam erst danach. Seine tiefe Religiosität aber, seine Sorge, dass die Kommunisten "die Freiheit auf andere Art in Fesseln legen", wie er im Tagebuch schrieb, sein moralisches Empfinden, seine romantische Sicht, seine große Heimatliebe, das alles kam gar nicht vor. Es passte nicht ins Bild.

"Es wäre eine Chance gewesen, nach 1989 dieses Bild zu korrigieren und zu vervollständigen", sagt Thomas Wüsten, Neffe des Künstlers. "Man hätte das ganze Werk, die ganze Persönlichkeit zeigen können mit ihren Konflikten und Brüchen, frei von ideologischen Vorgaben. Aber man hat sich durch Nichtstun distanziert." Seit zwei Jahren wechselt Thomas Wüsten Briefe mit dem Oberbürgermeister und der Museumschefin. Er fühlt sich mit Versprechungen hingehalten. Zu schwammig erscheinen ihm die Konzepte für die Görlitzer Kunstsammlungen. Dass die Wüsten-Ausstellung in der Neißstraße politisch verschlissen ist, weiß man schließlich seit mehr als zwölf Jahren. Dass sie nicht überarbeitet sondern einfach geschlossen wurde, ist für Thomas Wüsten eine "versuchte Verbannung in die Zweitrangigkeit".

Auch der Görlitzer Kulturwissenschaftler Wolfgang Wessig, ausgewiesener Wüsten-Kenner, wirft den Kulturpolitikern der Stadt vor, die Herausforderung nicht begriffen zu haben. Womöglich hätten sie sich die reduzierte DDR-Sicht zu Eigen gemacht. ,,Die Dinge stagnieren", stellt er fest, "die Argumente stoßen gegen Mauern, es wird nicht einmal mehr gestritten."

Finanzen der Stadt setzen Grenzen

Wolfgang Wessig und der Wüsten-Nachfahre plädieren für eine Ausstellung, die den Künstler als Multitalent zeigt, als Maler und Grafiker, Dramatiker und Erzähler, mit allen Dokumenten. Das Kulturhistorische Museum Görlitz verwahrt einen großen Teil des Nachlasses. Aus dem Material wäre sofort eine interessante Ausstellung zu machen", meint Thomas Wüsten. "Unsere Familie hat mehr Schenkungen als Leihgaben nach Görlitz gegeben - dass sie jetzt in Schränken verkümmern, ist blamabel."

Annerose Klammt, Direktorin der Staatlichen Sammlungen, widerspricht diesem Vorwurf vehement. Eine Ausstellung sei nicht durch das Auswechseln einiger Texte zu retten. Die engen finanziellen Grenzen hätten das auch nicht gestattet, losgelöst von einer neuen Gesamtkonzeption für die Sammlungen. Außerdem reiße eine Personalausstellung einen Künstler aus seinem kunstgeschichtlichen Kontext. "Wir wollen Wüsten endlich den Rang einräumen, der ihm in der Kunst des 20. Jahrhunderts nicht nur für Gürlitz gebührt", sagt sie. Er sei eine wichtige Persönlichkeit und werde keineswegs ins Abseits geschoben

Sollte ein Stadtbummel Konzept sein?

"Wir wollen Wüsten mit seinen malerischen und plastischen Hauptwerken in den kunsthistorischen Kontext stellen und sie zeigen inmitten der Arbeiten seiner Lehrer und Zeitgenossen, Freunde und Kontrahenten", sagt Annerose Klammt. Das soll in der Ausstellung der Gemäldegalerie im Kaisertrutz geschehen, die im Frühjahr nach Neugestaltung wieder eröffnet wird. Das Graphische Kabinett könnte in thematischen Sonderausstellungen Wüstens berühmte Kupferstiche zeigen. Für das literarische Werk wird ein Ort der Aneignung noch gesucht. Und Sachzeugen könnten vielleicht in einem Vortragsraum präsentiert werden, in einer Art reduzierten Personalausstellung in der Neißstraße. So vage klingt Zukunftsmusik.

Ein Stadtbummel zu Johannes Wüsten - das klingt beinahe nach einem Konzept. "Es ist ein vorübergehender Zustand, mit Sicherheit", sagt Museumschefin Annerose Klammt. Sie schwärmt sogar von einer Wanderausstellung, die Wüsten in ganz Deutschland noch bekannter macht. Das Schlesische Museum, von einer Stiftung getragen, denkt inzwischen halblaut über eine Vereinigung mit den Städtischen Sammlungen nach. Oder aber: Es könnte sein, dass Görlitz es ernst meint mit seiner Bewerbung als "Kulturhauptstadt Europas" im Jahr 2010. Das würde Chancen auch für Johannes Wüsten eröffnen. Leicht macht er es den Görlitzern nicht.